Wozu der lebende Meister?
Von ganzem Herzen möchte ich euch begrüßen zu diesem heutigen Darshan, möchte euch daran erinnern, für diese kommende kurze Zeit alles Vergangene und auch alles, was vielleicht sein wird, alles Zukünftige einfach einmal loszulassen. Dazu gehören auch etwaige Erwartungen, Vorstellungen und Hoffnungen. Neulich schrieb ich an einen Schüler, dass man zu einem Meister am besten mit leeren Händen kommt.
Bei meinem letzten Darshan hier in Berlin sprach ich über die Wahrheit, die darin besteht, dass das Leben als solches völlig bedeutungslos ist, es an sich und von sich aus keinerlei Bedeutung hat. Es liegt an uns Menschen – jeder für sich – seinem Leben die Bedeutung zu geben, die er sich von ihm wünscht und die er haben möchte für sein Leben.
Auch ein Treffen, eine Begegnung mit einem spirituellen Meister ist von sich aus nicht bedeutungsvoll. Einer solchen Begegnung eine Bedeutung zu geben, liegt bei jedem Einzelnen. Selbst viele meiner Schüler tun sich damit schwer, weil das bedeutet, dass man wirklich und tatsächlich für sein Leben ganz allein verantwortlich ist. Natürlich mag sich da die Frage erheben: Wozu dann einen Meister, wozu einen lebenden Meister, wenn ich doch am Ende alles selbst tun muss?
Darauf habe ich schon oft hingewiesen und möchte auch heute Abend noch einmal darauf hinweisen: Der Meister ist „nur“ zum Üben da: zum Beispiel jetzt, hier in meiner Gegenwart, alles Vergangene, alles Zukünftige einmal ruhen zu lassen und ganz einfach in diesen Moment zu kommen. Genau das kann man üben in der Gegenwart des Meisters.
Immer wieder mache ich darauf aufmerksam: Der äußere Meister ist ein Spiegel, eine Manifestation des namenlosen inneren Meisters, der – wirklich und ohne Unterschied – in allen Menschen lebt. Über die Verbindung, die ein Mensch mit seinem Meister aufnehmen kann, öffnet sich in ihm der Zugang zu seinem namenlosen inneren Meister und hat dieser Mensch irgendwann zur Einheit mit diesem inneren Meister gefunden, ist der äußere Meister nicht mehr vonnöten. Allerdings spielt der äußere Meister auf diesem Weg nach innen eine tragende, und in meinen Augen unverzichtbare Rolle.
So kenne ich alle Widerstände, die sich erheben können, um diesem Spiegel – der der Meister einfach für den Schüler ist – auszuweichen. Es war nicht schön, was auch ich dort zu sehen bekam: Ein enges Herz, eine unglaubliche Kleingeistigkeit, ein ewiges Kreisen nur um mich selbst, ein ständiges bei den anderen die Schuld suchen für die eigene Misere. Und jede Lüge war mir recht, um die Wahrheit, die mir aus diesem Spiegel entgegenblickte, immer und immer wieder zu relativieren.
Was ich aber nicht umhin konnte zu erkennen, war die unverbrüchliche Liebe, die meine Meisterin für mich damals einfach war, mir immer zeigte, völlig unabhängig davon, wie groß das Dunkle sich in mir – immer unübersehbarer – zeigte.
Das war das erste Mal in meinem ganzen Leben, dass ich einen anderen Menschen traf, dessen Liebe zu mir nicht von meinem Verhalten abhängig war, und so verlor ich zunehmend die Angst davor, einen Fehler zu machen, etwas falsch zu machen. Die Liebe meiner Ma war immer gleich, egal welchen Fehler ich beging oder begangen hatte. Streng wurde sie nur – und auch ich bin heute nur dann streng – wenn ich versuchte, mich in Schuld und Scham über einen begangenen Fehler zu verkriechen. Dann trat sie auf den Plan und auch ich trete heute dann auf den Plan. Ich war mir nicht darüber im Klaren gewesen, wie sehr ich mich dafür schämte und verurteilte, einfach ein Mensch zu sein, Fehler zu machen. Durch ihre Liebe zu mir begann ich diese Angst zu verlieren – das ist die unverzichtbare Aufgabe, die dem Meister zufällt und die ihn weder anstrengt, noch etwas kostet, denn er, auch ich, kann nur lieben, sonst gar nichts.
Ich war selbst einmal spirituelle Schülerin: 1973 habe ich in Indien zu meinem Meister Sri Neem Karoli Baba gefunden und nach seinem Tod zu meiner Meisterin Sri Ma Jaya Sati Bhagavati, an deren Seite ich in Florida sieben Jahre eine wundervolle und wilde Schülerzeit verbringen durfte. An der Seite dieser beiden lebenden Meister, zu deren Füßen ich als Schüler sitzen durfte, habe ich gelernt, dass der Mensch diese inneren Widerstände, diese fehlerhafte menschliche Natur nur überkommen kann aus Liebe zu einem anderen.
Der Mensch überkommt sich nur aus Liebe zu einem anderen und ein spiritueller Schüler überkommt sich aus Liebe zu seinem Meister. So habe ich es erlebt und so ist es auch zu verstehen, wenn ich sage: Die Liebe ist die einzige Kraft, die uns diese Dunkelheit in uns selbst wirklich überkommen lässt!
Tritt der Schüler mit dem Meister in eine Beziehung, kann er nicht umhin, als zu erkennen, welch große Freude er dem Meister bereitet, wenn er auch nur versucht, durch ein neues Denken seine alten Gleise, diese ausgetrampelten Pfade zu verlassen. Auch hier kann ich aus eigener Erfahrung sprechen: Es gibt nichts Lebendigeres, nicht Schöneres für mich als Meister, als wenn einer meiner Schüler auch nur einmal versucht, einen neuen Gedanken zu formen, einen neuen Weg zu gehen.
Als ich damals zu Baba gefunden habe, war ich jung und ich hatte wirklich keine Ahnung. Ich wusste nur: Ich wollte leben, ich wollte unbedingt leben! Aber ich wusste nicht wie und habe damals wirklich jemanden gesucht, der mir das zeigen kann. Ein knappes Jahr nachdem ich zu Baba gekommen war, hatte er seinen Körper verlassen und es fanden in der folgenden Zeit viele seiner Schüler zu dieser spirituellen Meisterin in Amerika, in Florida, zu Sri Ma Jaya Sati Bhagavati. Dort wurde ich auch, wie alle meine Schüler heute, mit mir selbst konfrontiert. Denn auch ich wähnte mich viel weiter, viel freier, viel unverlogener, viel weniger vom Makel der unvollkommenen menschlichen Natur befleckt, als ich an ihrer Seite erkennen musste, ich es war.
Aber ich kann euch nichts abnehmen, ich kann nichts wegmachen, ich kann auch euer Leben nicht für euch leben, ich kann den Weg nicht für euch gehen, ich kann euch nicht heilen. Ich kann euch zeigen, wie ihr euer Leben selbst lebt, wie ihr euch selbst heilt. Das ist allerdings ein Gebrauch, den der Schüler irgendwann vom Meister machen muss: Dass er wagt sich zu zeigen in seiner ganzen Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit, so wie wir Menschen nun einmal sind. Dieser Weg durch die eigene, unvollkommene menschliche Natur führt über sie hinaus. Allerdings geht an ihr kein Weg vorbei.
Wer in den Himmel möchte, muss durch die Erde gehen – die Erde in sich selbst. Und nur durch die unverbrüchliche Liebe des Meisters bin zumindest ich in der Lage gewesen, mir auch die finstersten Winkel in mir selbst anzusehen, immer getragen durch die Liebe meiner Ma.
Ich kann euch nicht sagen, was das für eine unglaubliche Zeit war damals. Wenn man endlich aufhört, sich zu verstecken, wenn man sich endlich zeigt, wenn man so endlich Frieden schließt mit sich selbst, mit dieser fehlerhaften menschlichen Natur. Dann tritt man aus ihr heraus in ein neues Denken, in ein neues Bewusstsein.
Erleuchtung ist die höchste Ebene des menschlichen Bewusstseins. Um einen herum bleibt alles so, wie es ist, und so sehr wir Menschen da immer auf eine Veränderung warten, ist der Einzige, der sich verändert, man selbst. Man schaut auf das Gleiche mit völlig neuen Augen. Man wird ein neuer Mensch. Ich halte den lebenden Meister aus diesem Grunde für unverzichtbar, denn man geht nicht von alleine in diese eigenen Keller und dunklen Winkel. Man wagt das, man traut sich das, weil getragen von der Liebe des Meisters – und durch das Erkennen, welch große Freude wir dem Meister bereiten dadurch, dass wir das wagen, dass wir aufhören uns zu verstecken.
Das ist ein wundervoller Prozess, in dem sich der Mensch zu erkennen gibt. Denn jeder Mensch will erkannt werden und gibt sich deshalb irgendwann zu erkennen. Genau das kann geübt werden mit dem Meister, dessen Liebe auch im Anblick größter Fehler und Dunkelheit alles überstrahlt. Ohne ihn, ohne seine Liebe, wäre es mir nicht möglich gewesen, mich zu überkommen, hätte ich mich nicht so weit hinaus gewagt. Macht diesen Gebrauch von mir.
Hier links hängt ein Bild von Hanuman, dem Affengott aus der indischen Mythologie. Hanuman ist eine Kraft in uns, die wir auf diesem Wege wachrufen können, von Hanuman heißt es, er hätte sein Ego überkommen aus Liebe zu Ram. Er steht für diese Kraft in uns, die es uns möglich macht, uns einer Aufgabe zu stellen, ohne im Vorfeld zu wissen, ob sie uns gelingt. Denn die meisten Menschen stellen sich einer Aufgabe erst dann, wenn sie zumindest glauben, dass sie diese bewältigen können. Hanuman steht für diese Qualität, uns einer Aufgabe zu öffnen und erst dann, aber dann wirklich, mit der Kraft in Verbindung zu kommen, die es uns ermöglicht, diese Aufgabe zu bewältigen. Als wir damals zu Sri Neem Karoli Baba fanden, hieß es, Baba sei Hanuman, die Inkarnation Hanuman’s: Ein Mensch, der sich überkommen hat aus Liebe zu Gott. Auch hier ist Gott nicht zu verstehen als ein Gott außerhalb unserer selbst; gemeint ist der namenlose innere Meister, der nur darauf wartet, endlich erhört, endlich erkannt zu werden.
So besteht die erste Hälfte eines spirituellen Weges aus dem Durchschreiten der Erde in uns selbst. Die zweite Hälfte des Weges – das eigene göttliche Licht, das immer in uns ist, das wir aber dann endlich zumindest beginnen zu erkennen – habe ich als den schwierigeren Teil erlebt. Die eigene Dunkelheit anzuerkennen ist schwer, die eigene göttliche Natur anzuerkennen ist schwerer. Da mobilisieren sich noch einmal alle Ich-Kräfte und sagen: Nein, das kann nicht sein. Dieses Licht, diese göttliche Essenz, das bist nicht du! Aber auch da hat sich diese Ma, getragen von der Liebe ihres Meisters, immer weiter hinausgewagt. An jeder Tür standen immer noch größere Posten, die mit gewaltigen Stimmen vehement davon abrieten, die nächste Türe zu öffnen – ich spreche in Bildern, weil sich dieser Prozess kaum in Worte fassen lässt – und ich erinnere mich deutlich an die letzte Tür. Sie war schwer zu öffnen, aber ich wollte nichts anderes!
Und dann stand ich auf der Schwelle der geöffneten Tür, blickte noch einmal zurück und sah den ganzen Weg, den ich gekommen war. Ich drehte mich um, blickte nach vorne und sah den gleichen Weg vor mir, den es jetzt zurückzugehen galt. Zurück in meinen Körper, zurück in die Welt, zurück zu den Menschen. Ich konnte es kaum erwarten, machte mich sofort auf den Weg. Ich wollte zurück zu den Menschen und ihnen erzählen, ihnen berichten von dieser Möglichkeit, die wir Menschen haben, die Erde in uns zu durchschreiten und so aufzusteigen in unsere göttliche Natur.
Ich kann nur lieben. Ich liebe die Erde, ich liebe das Leben, ich liebe alle Menschen. Ich kann diese Liebe nur verschenken. Sie ist unzerstörbar. Sie sprudelt aus einer Quelle, aus diesem namenlosen inneren Meister. Sie entspringt aus sich selbst und versiegt deshalb nie.
Genau so wollte ich leben, frei von allen Umständen äußerer oder innerer Natur. Ich habe immer geträumt von dieser Liebe, die nie vergeht. Allerdings wusste ich lange Zeit auch nicht, dass ich sie allein in mir finden würde.
Ich bin diesen beiden Menschen, die als Meister in mein Leben getreten sind, auf ewig dankbar dafür und es ist ein Ausdruck dieser Dankbarkeit, dass ich jetzt hier sitze und euch davon erzähle.
Das war mir eine große Freude.
Namaste.