Was für ein Mensch will ich sein?
Ich möchte euch alle von ganzem Herzen zu diesem heutigen Darshan begrüßen und ich möchte ein paar Worte an euch richten. Vorgestern war der 71. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Einundsiebzig Jahre ist das her. Und auf Arte habe ich eine Rede gesehen, die eine inzwischen 83-jährige, jüdische Schriftstellerin, die den Holocaust überlebt hat, vor dem Bundestag hielt.
Damals 12 Jahre alt, hat sie sich auf Anraten von jemandem in der Lagerverwaltung – als 12-jährige wie gesagt – zum Arbeitseinsatz gemeldet, indem sie sich als 15-jährige ausgab. Denn, solange man noch arbeiten konnte, wurde man nicht vergast – das waren ihre Worte.
Sehr berührt hat eure MA bei dieser Frau, dass sie schon von ihren Hemmungen erzählt hat, überhaupt nach Deutschland zu kommen und diese Rede vor dem Bundestag zu halten, für die sie eingeladen worden war.
Sie sprach von einer anfänglichen Verwunderung in sich, die dann sogar in Bewunderung umgeschlagen ist für Deutschland, das trotz aller Schwierigkeiten, die sich aus dem immer größer werdenden Flüchtlingsstrom ergaben, doch bemüht war, diesen vielen Menschen auf der Flucht eine Art Zuhause zu geben. Sie betonte mehrere Male, dass es dieser Umstand war, der sie bewogen hatte, doch nach Deutschland zu kommen.
Vor dem Bundestag hielt sie eine eindringliche Rede, in der sie von dieser schlimmen Zeit, die sie als Kind in Auschwitz erlebt hat, sprach.
Auf Arte wurde in einer anschließenden Dokumentation eine Abiturientenklasse gezeigt, die das ehemalige Konzentrationslager in Auschwitz besucht hatte. Die jungen Menschen waren gerade dabei, das Lager zu verlassen und die entsetzten Gesichter sprachen von ihrem Erleben an diesem Ort. Ein paar der Schüler wurden auch während eines Interviews gezeigt und nach ihren Eindrücken befragt und unter ihnen war eine junge Frau, die zu ihrem Erleben einen unvergesslichen Satz sagte – deutlich war ihr ihre Erschütterung anzusehen – sie schien zutiefst getroffen im Angesicht dessen, was ein Mensch einem anderen Menschen antun kann. Sie stand vor der Kamera und sagte, in ihr erhebe sich nur eine einzige Frage, nämlich: Was für ein Mensch will ich sein? Was für ein Mensch will ich sein?
Eure Ma sagt euch hiermit, dass dies eine der wenigen lohnenden Fragen ist, die es sich überhaupt selbst zu stellen gilt. Denn diese junge Frau schien mit dieser unumstößlichen Wahrheit in sich selbst in Berührung gekommen zu sein, dass es wirklich bei jedem einzelnen Menschen selbst liegt, sich nicht nur diese Frage zu stellen, sondern auch zu erkennen, dass jeder einzelne diese nur für sich selbst beantworten kann und entsprechend sein Leben leben muss. Diese Erkenntnis, dass jeder Mensch eine Wahl hat, beinhaltet ja eigentlich den spirituellen Weg. Wer ein yogisches Leben führen möchte, wer ein yogischer Mensch sein möchte, kann nur yogisch handeln.
Eines ist eurer Ma zutiefst in Erinnerung geblieben, denn ich bin 2007 selbst das erste Mal mit 50 Schülern/innen in Auschwitz gewesen. Eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte führte uns durch diesen Häuserkomplex und es lag ein furchtbarer Schrecken, etwas unvorstellbar Dunkles über der gesamten Anlage. Überall standen große Tafeln, die auf einzelne Barracken hindeuteten und es war MA sofort aufgefallen, dass diese nur in hebräischer, polnischer und englischer Sprache beschrieben waren. Auch auf großen Fotos der Lagerhäftlinge waren ihre Peiniger – die Nazis – nicht zu sehen, kein Hinweis auf Deutsch. Das wurde auch damit erklärt, dass man sich der Sprache dieser Bestien nicht bedienen wollte, die Sprache der Nazis nicht in den Mund nehmen wollte.
MA erlebt bis heute darin einen großen Fehler, die Nazis wie eine spezielle Rasse zu behandeln, die nicht zur Menschheit gehört – als wären das keine Menschen gewesen – denn das Furchtbare ist ja, dass die Nazis Menschen waren, ganz normale Menschen, so wie du und ich, die diese unvorstellbare Wahl getroffen haben für sich selbst, eine solch menschenverachtendes, brutales Leben zu führen.
Diese eine Frage möchte ich euch allen heute erneut sehr ans Herz legen. Niemand, außer ihr euch selbst, kann diese beantworten – und auch wenn ich damit immer wieder, auch in den Kreisen meiner Schüler, auf heftigen Widerstand ob dieser Verantwortung für das eigene Leben stoße, kann euer Meister euch nichts besseres anbieten. Das ist der Weg, der in die Freiheit von sich selbst führt. MA ist von einer großen Hoffnung erfüllt, dass der eine oder andere von euch auch einmal diese Freiheit zu kosten vermag, die mit dieser Erkenntnis einhergeht, dass jeder für sein Leben selbst verantwortlich ist, dass jeder tatsächlich seines Glückes Schmied ist – bedeutet es doch gleichzeitig, dass keiner von euch mehr warten muss auf irgendetwas von außen, auf irgendjemanden, der euch glücklich macht, der euch zu einem zufriedenen und innerlich erfüllten Menschen macht – denn das alles liegt an jedem einzelnen von euch selbst.
Auch in mir, eurer Ma, erhob sich zu Beginn meiner spirituellen Reise diese große Frage und hat mich zu meinem Meister Sri Neem Karoli Baba und nach dessen Tod zu den Füßen meiner Meisterin Ma Jaya Sati Bhagavati gebracht. Diese Unabhängigkeit von allen äußeren Bedingungen, die das Meisterliche eurer MA ausmacht, die wünsche ich euch allen von ganzem Herzen.